Nur Mut! – Zivilcourage in Verwaltungsräten

Kennen Sie dieses Phänomen? Man behandelt in einer Verwaltungsratssitzung ein wichtiges Problem, entscheidet sich für eine Lösung und weiter geht’s zum nächsten Traktandum. Und dann sagt Ihnen eine innere Stimme, dass etwas nicht in Ordnung ist. Haben Sie schon mal dieses nagende Gefühl ignoriert, dass Sie einem Thema im Verwaltungsrat zu wenig Raum gegeben haben? 

Vielleicht wären mehr Diskussion und Reflexion nötig gewesen. Oder die zugrunde liegenden Annahmen müssten hinterfragt werden. Oder vielleicht haben die Vorurteile eines Mitglieds die Analyse und die Lösung zu sehr beeinflusst. Haben Sie nachträglich das Wort ergriffen? Oder haben Sie sich einfach treiben lassen und gehofft, dass das Gefühl nachlassen werde und sich mit dem Gedanken beruhigt, dass sich die Dinge schon ohne Ihr Zutun regeln werden?

Was Sie in diesem Moment erlebt haben, war ein Aufruf zum Mut – ein Aufruf zum Handeln, trotz Hürden, Angst oder Gefahr. Ich habe schon viele mutige Interventionen in Organisationen beobachtet, z. B. einen unpopulären Standpunkt zu vertreten oder einen notwendigen, aber riskanten strategischen Wechsel vorzunehmen. Ich habe auch mangelnden Mut erlebt – zum Beispiel, wenn man schweigt, um keine Wellen zu schlagen.

Bankenkrisen, oder der verpasste Aufruf zum Mut

Als im Frühjahr nacheinander die SVB Financial Group, die Signature Bank und die First Republic Bank nacheinander unter FDIC-Konkursverwaltung gestellt wurden, fing ich an bewusst über Mut nachzudenken. Während Kritiker argumentierten, dass der Grund für das Versagen der Fokus der Führung auf Nebenschauplätzen wie Vielfalt und andere Trendthemen war und man dadurch die tatsächlichen Herausforderungen aus dem Blick verloren hatte, überlegte ich – wie so oft – “Was sonst könnte dazu geführt haben?”

Aus meinen jahrelangen Beobachtungen der Dynamiken in Verwaltungsräten weiss ich, dass es Verwaltungsräte manchmal vermeiden, dem Management jene unangenehmen Fragen zu stellen, die ihr Denken und Handeln hinterfragen und verbessern – aus Gründen, die zum gegebenen Zeitpunkt noch vernünftig erscheinen mögen.

Manchmal unterlassen sie es Fragen zu stellen, weil sie den Verlauf des Meetings nicht behindern wollen oder aus Angst als schwierig angesehen zu werden. Gelegentlich wollen sie ihre eigene Unwissenheit nicht preisgeben, weil sie glauben, alle anderen wüssten bestimmt, worum es geht. Oder sie haben einfach so starke Überzeugungen über das Geschäft, dass sie nicht erkennen können, wann sie ihr eigenes Denken und das der anderen erweitern sollten. Die Gründe für die Passivität mögen nachvollziehbar sein, doch ist jedes Szenario gleichzeitig ein verpasster Aufruf zum Mut. Das wirft die Frage auf: was genau ist Mut und wie sieht er aus, wenn er von Verwaltungsräten gelebt wird?

Die Anatomie des Mutes

Mut bedeutet, sich trotz Hürden, Angst oder Gefahr aktiv für ein höheres, gemeinsames Gut einzusetzen. Allerdings gibt es keine Erfolgsgarantie für Mut und das macht es schwer ihn anzuwenden, weil er mit hohem Risiko verbunden ist. Jeder Durchbruch wie militärischen Siege, Innovationen und soziale Veränderungen brauchen Mut. Mut ist der Auslöser für Handlungen, die Geschichte schreiben und den gesellschaftlichen Fortschritt vorantreiben.

Es gibt vier Dimensionen von Mut, die Verwaltungsräte einsetzen können, um ihre Organisationen bei der Bewältigung der laufenden und strategischen Herausforderungen zu unterstützen:

     

      1. Moralischer Mut.
        Dabei geht es um die Gewissenhaftigkeit, die zu ethisch korrekten Entscheidungen führt, die mit den allgemeinen menschlichen Werten und dem langfristigen, sozialen Wohl übereinstimmen.

      1. Disziplinierter Mut.
        Hierbei geht es um umfassendes, strategisches Denken und Fokus, die zu überlegtem und konsequentem Handeln in Fragen von entscheidender Bedeutung führen.

      1. Intellektueller Mut.
        Diese Art von Mut hat damit zu tun, bestehende Annahmen zu hinterfragen. Dabei bezieht man neue Erkenntnisse aus Erfahrung, Experimenten und Forschung mit ein, die zu einem erweiterten Wissen führen.

      1. Empathischer Mut.
        Dieser zeigt sich darin, nach den Perspektiven und Erfahrungen anderer zu suchen und zu riskieren, von ihnen verändert zu werden, was zu einem tieferen Verständnis führt.

    Jedes Verwaltungsratsteam zeigt ein unterschiedliches Mass an moralischem, diszipliniertem, intellektuellem und einfühlsamem Mut durch seine Entscheide und Handlungen. Im Ergebnis hinterlassen sie damit einen individuellen Mut-Fussabdruck, den ich ihren Mut-Quotienten nenne. Ich behaupte, dass jeder Verwaltungsrat seinen Mut-Quotienten erhöhen sollte, um den anhaltenden und sich verschärfenden strategischen Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, angemessen begegnen zu können.

    Dr. Keith D. Dorsey ist Managing Partner | U.S. Practice Leader – CEO & Board Services bei Boyden International.

    Der ausführlichere Artikel erschien 2023 bei Forbes in Englischer Originalsprache.

    Die Übersetzung der Kurzversion stammt von Esther-Mirjam de Boer, Brainboards AG. Die Publikation erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Dr. Keith D. Dorsey.