Wen brauchts wann? Teamzusammensetzung im VR.

Eine zentrale Verantwortung des VR ist gleichzeitig ein besonders schwieriges Traktandum. Nämlich die ehrliche und reflektierte Antwort auf die Frage: Sitzen bei uns noch die richtigen Personen am Tisch, um für die Herausforderungen der kommenden Jahre die Weichen des Unternehmens geschickt zu stellen? Ein Erfahrungsbericht.

Der Präsident eines börsenkotierten Unternehmens war über die Alterszusammensetzung  in seinem Verwaltungsrat besorgt. In wenigen Jahren würde sich sein eingespieltes Team von Gleichaltrigen geschlossen zurückziehen. Das Thema Nachfolge musste nun systematisch angepackt werden. Doch, wie ansprechen? Für die Strategieretraite hatte er als Auftakt eine externe Evaluation des Teams sowie einen Halbtagesworkshop in Auftrag gegeben.

Auf die Frage nach dem Tagesziel sagte er: «Wenn einer von uns aufsteht und vor allen sagt, ich bin der Erste, der geht», dann käme der Stein ins Rollen.

Umfassende Evaluation

Eine sorgfältige Evaluation der Team-Zusammensetzung muss man vor dem Hintergrund der Strategie und Geschäftsentwicklung in der Vergangenheit erstellen.  Diese wird der strategischen Standortanalyse und der angestrebten weiteren Entwicklung des Unternehmens gegenübergestellt. Wenn sich ein Strategiewechsel anbahnt, ist es oft so, dass das Führungsteam im Verwaltungsrat für die neue Strategie anders aufgestellt werden muss. Erst wenige Unternehmen tun das konsequent.

Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Unternehmen jahrelang erfolgreich organisch gewachsen ist und die Marktsättigung erreicht. Dann muss man einerseits die Geschäfte konsolidieren und kann anderseits über strategische Akquisitionen nachdenken. Doch wie im Fussball, gilt auch im Verwaltungsrat: Gute Stürmer sind selten gute Verteidiger. Wer die Spieltaktik ändert, muss das Team anders aufstellen.

Teamdynamik

Bei Evaluationen arbeiten wir zum Verständnis der Teamdynamik und dem Zusammenspiel der Vielfalt der Persönlichkeiten einerseits mit strukturierten Interviews und anderseits oft mit psychometrischen Profilen. Sie liefern eine gemeinsame Sprache und können Aufschluss geben über die persönlichen Ausprägungen der Personen. Was ich jedoch am meisten daran liebe, ist die Leichtigkeit, mit der man über schwierige Themen miteinander ins Gespräch kommt.

So wurde in einem anderen Verwaltungsrat klar, dass die Spannungen zwischen einem antreibenden Delegierten und den vorsichtigen VR mit zwei neuen Mitgliedern gelöst werden konnten, von denen eines typologisch zwischen den Polen der Bisherigen stand und handlungsorientiert übersetzen konnte und die andere Person den Vorwärtsdrang des Delegierten ebenfalls repräsentierte, um dem Team insgesamt mehr Ausgewogenheit zu geben. Als Folge fühlten sich sowohl der Delegierte wie auch die anderen Mitlieder mit ihren Anliegen besser wahrgenommen und unterstützt.

Inklusion

In zwei anderen Gremien war die typologische Team-Aufstellung entscheidend, um je eine antreibende und fordernde Frau gut aufzunehmen. Gegen Ende des Rekrutierungsprozesses für den VR waren fünf Kandidatinnen und Kandidaten im Spiel. Diese haben wir anonym in der typologischen Team-Aufstellung platziert und sind die Ausprägungen ihrer Persönlichkeit durchgegangen. In beiden Fällen entschied sich das Gremium für eine ausgeprägte Persönlichkeit, die man landläufig eher mit männlichen Top-Managern in Verbindung bringt. In beiden Fällen hat diese Anonymisierung dazu beigetragen, dass je zwei Frauen gewählt wurden und diese mit ihrer forschen Art schliesslich gut angenommen wurden und ihre Wirkung entfalten konnten.

Risikoabwägung

In einem weiteren Gremium hatte der sehr erfolgreiche CEO den Wunsch geäussert, als Delegierter Mitglied im Verwaltungsrat zu werden. Der Verwaltungsrat hat den Entscheid darüber mit einer externen Evaluation vorbereiten lassen. Abgesehen davon, dass die Rollenunterscheidung in der Regel zur best practice gehört, konnte in dem konkreten Fall aufgezeigt werden, dass die Aufnahme des CEOs die Teamdynamik im Verwaltungsrat hinsichtlich einer erforderlichen Transformation ungünstig beeinflussen würde.

Transformation

Bei vielen Firmen steht ein Generationenwechsel an. Bei manchen muss das Potenzial der Digitalisierung endlich richtig gehoben werden. Andere denken über neue Geschäftsmodelle mit besseren Margen nach. Einige wissen, dass Sie die zunehmend fehlenden Fachkräfte nach und nach mit künstlicher Intelligenz KI und Robotik ersetzen müssen. Eine Grosszahl der Unternehmen nutzt die eigenen Daten nicht gewinnbringend. Wieder andere brauchen eine neue Strategie und eine Finanzierung, um wieder gesund zu werden. Bei zahlreichen Betrieben kommen mehrere Themen zusammen.

Eine gezielte Veränderung in der Zusammensetzung der Verwaltungsrates kann Impulse setzen, um die erforderliche Strategieanpassungen erfolgreich umzusetzen. Dies gelingt nach meiner Erfahrung besser, wenn mindestens zwei Personen neu im Gremium aufgenommen werden und zwei Bisherige ersetzen. In grossen Teams müssen über ein Drittel der Personen ausgewechselt werden und die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Temporäre Verwaltungsräte

In der Schweiz sind Verwaltungsräte noch sehr zurückhaltend mit zeitlich begrenzten Einsätzen von Mitgliedern. Dabei wäre es gerade im Wandel ein wirkungsvolles Mittel, um die angestrebten Veränderungen gezielt und konsequent voranzutreiben und das Team oder die Strategie nach drei bis vier Jahren komplett neu aufzustellen. Für die Zeit des Übergangs braucht es andere Führungsprofile als für die Konsolidierung danach. 

Solange jedoch ein Kurzeinsatz in einem Verwaltungsrat im Lebenslauf als vermutete Unfähigkeit und als Zeichen des Scheiterns gelesen wird, haben es temporäre Verwaltungsräte schwer.

Esther-Mirjam de Boer, Brainboards AG

Esther-Mirjam de Boer ist Geschäftsleiterin von Brainboards AG und Expertin für die Evaluation, Transformation und Ergänzung von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen. Sie hat über 20 Jahre Erfahrung als Strategieberaterin sowie Verwaltungsrätin und kann Führungsteams effektiv für die Strategieumsetzung aufstellen und begleiten.