Kundenorientierung: Lippenbekenntnis oder wirksam umgesetzt?

“Natürlich sind wir kundenorientiert!” Das ist ein Satz, den wohl jedes Unternehmen von sich behaupten würde. Doch leider ist Kundenorientierung oft ein leeres Versprechen. Vor lauter  Digitalisierung und Agilität geht vergessen, Kundinnen und Kunden in den Mittelpunkt zu setzen.

Obwohl der Begriff “Kundenorientierung” in den meisten Unternehmensleitbildern zu finden ist, scheint die Realität oft anders auszusehen. Finanzfachleute, Juristen und Branchen-Expertinnen dominieren die Verwaltungsräte, während professionelle Expertise für Kundenorientierung noch selten ist. ‘Kundenorientierung kann doch jeder’ – das ist ein verbreiteter Trugschluss. In einer Ära, in der Digitalisierungs- und Agilitätsprojekte wie Pilze aus dem Boden schiessen und hohe Kosten verursachen, ist es an der Zeit, die echte Kundenorientierung in den Fokus zu rücken.

Ein kürzliches Erlebnis in einem Unternehmen, das sich dank agiler Arbeitsweisen mit einer stärkeren Kundenorientierung brüstet, war ernüchternd: 10 Minuten Wartezeit an der Hotline für ein simples Anliegen. Die Bitte um einen Code zum Entsperren konnte vom Kundencenter nur per Post erfüllt werden. Auf Vorschlag hin, den Prozess kundenfreundlicher zu gestalten, meinte der Mitarbeitende: “Sehr gerne machen wir das, können Sie dies bitte im Feedbackformular auf der Website erfassen?” Kurz nach dem Anruf erreichten mich zwei SMS, mit der Bitte den Service zu bewerten.

Natürlich gab ich dem Unternehmen keine Bestnote. Was sagt das über die tatsächliche Kundenorientierung des Unternehmens aus?

Mit folgenden Faustregeln können Sie Ihr Unternehmen wirksam auf Kundenorientierung ausrichten:

    1. Strategie: Kundenorientierung ist mehr als ein Schlagwort

      Kundenorientierung lässt sich schnell in der Strategie aufschreiben und ist schnell daher gesagt. Beim genauen Hinschauen stellt man jedoch fest, wie schnell die Selbstgefälligkeit in einer Organisation in den Vordergrund rückt. Plötzlich stehen andere Projekte wie Digitalisierung in sämtlichen Bereichen oder agile Methoden zuoberst auf der Agenda, während die Kundenerfahrung in den Hintergrund rückt.
      Wissen Sie, wie es sich für Kunden anfühlt, mit Ihnen Geschäfte zu machen? Räumen Sie dem Kundenerlebnis in der Strategie genügend Wichtigkeit ein. Die Ausformulierung des Kundenerlebnisses, das man vermitteln will, bildet dabei den Grundstein. Es ermöglicht eine kohärente und effiziente Fokussierung des Unternehmens.
      Einfache Sätze wie «die Kunden können einfach mit uns in Kontakt treten» reichen in einer Strategie nicht aus. Seien Sie konkret. Was braucht ein Kunde, um mit Ihnen in Kontakt zu kommen? Wie läuft die Lösung des Anliegens ab? Was hebt unsere Kundenorientierung vom Wettbewerb ab? Je deutlicher das gewünschte Kundenerlebnis formuliert wird, je fokussierter können interne Prozesse entwickelt werden und je effizienter und nachhaltig erfolgreicher wird ihr Unternehmen sein.

    • Organisation: Das gleiche Verständnis über Kundenorientierung in strategischen Gremien wie auch bei allen Mitarbeitenden.

      Auch im Verwaltungsrat gilt: Sie müssen verstehen, wie sich ein Kunde fühlt und welche Erwartungen er hat, damit die Verankerung von Kundenorientierung in der Strategie gelingt. Investieren Sie Zeit dafür. Kundenerfahrung gewinnt man nicht allein durch das Studieren von Zusammenfassungen der Kundenumfragen. Gehen Sie auch als Verwaltungsrat regelmässig zu Kunden und beobachten Sie die Interaktionen.
      Einige Unternehmen etablieren sogenannte «Experience Coaches» in der Organisation. Das Aufsetzen von auf Kundenbedürfnis spezialisierten Einheiten ist jedoch nicht zwingend. Damit aber alle Mitarbeitenden verstehen, was genau in Ihrem Unternehmen unter Kundenorientierung verstanden wird, ist es wichtig, den Mitarbeitenden den Sinn und die Bedeutung davon zu vermitteln. Die Fähigkeit über den eigenen Arbeitsbereich hinauszudenken sowie ein Verständnis der Geschäftsabläufe sind Voraussetzungen für alle Mitarbeitenden. Abteilungen verbessern ihre Prozesse vielfach in sich, vergessen jedoch den Schnittstellen genügend Beachtung zu schenken. Schlecht koordinierte Schnittstellen innerhalb der Organisation sind meist der Grund, warum das Kundenerlebnis nicht zufriedenstellend ist. Kommunizieren Sie daher regelmässig und auf allen Ebenen und Hierarchiestufen die Bedeutung des Gesamterlebnisses. Konkrete Beispiele können dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden ein einheitliches Verständnis entwickeln. Es reicht bei weitem nicht aus, nur den Kundenservice auf Kundennähe auszurichten!

    • Prozesse: Transparenz des Kundenerlebnisses als Basis im Unternehmen.

      Um Mitarbeitende für das Gesamterlebnis der Geschäftsabläufe zu sensibilisieren, ist es wichtig, die Kundenerlebnisse für alle zu visualisieren. Geben Sie einen Überblick über den aktuellen wie auch den angestrebten Soll-Zustand. Es lohnt sich, dem Prozess-Erlebnis eine höhere Priorität einzuräumen. Bei der Gestaltung von Prozessen ist es besonders wichtig, das Kundenerlebnis als Referenzpunkt zu nutzen und die Abläufe konsequent darauf auszurichten. Durch die Konzentration auf das Gesamterlebnis können viele nicht wertschöpfende Kundeninteraktionen vermieden werden. Die gute Nachricht: Hier liegt eine Menge Potential für Effizienzsteigerung brach. Darüber hinaus bildet es die Basis für eine korrekte Priorisierung von Projekten und eine angemessene Ressourcenallokation.

    • Zum Schluss: Das Missverständnis von Digitalisierung und Agilität.

      Digitalisierung wie auch neue agile Arbeitsmethoden wie z.B. Scrum sind in aller Munde. Ohne die konsequente Kundenorientierung im Unternehmen sind solche Projekte jedoch schnell zum Scheitern verurteilt und verschleudern viele Ressourcen. Werden Sie sich zuerst bewusst, welche Prozesse es wert sind, digitalisiert zu werden. Bilden Sie im Unternehmen nicht die bestehenden Prozesse eins zu eins digital ab! Denn wenn ein komplizierter Prozess für den Kunden digital gestaltet wird, haben sie einen komplizierten digitalen Prozess. Auch das Missverständnis, dass ein Unternehmen automatisch kundenorientierter wird, wenn man die Mitarbeiter auf neue Arbeitsmethoden wie Agilität trimmt, hält sich hartnäckig. Die Ausrichtung auf den Kunden muss jedoch fest in der Unternehmenskultur verankert sein, damit die Mitarbeiter verstehen, warum neue Arbeitsmethoden sinnvoll sind. Ansonsten werden solche Projekte zum Selbstzweck und führen dazu, dass sich das Unternehmen primär um sich selbst statt um die Kunden kümmert.

    Also, krönen wir unsere Kunden, indem wir die Kundenorientierung als Herzstück unserer Strategie etablieren. Dann stürzen wir uns mit Energie in die digitale Transformation und die Einführung innovativer Arbeitsmodelle. Aber nicht blindlings, sondern effizient und zielgerichtet. Mit maximalem Output bei minimalem Input.

    Nicole Knuchel-Geiser, Botschafterin der Kundenorientierung
    Geiser in April GmbH, Spiegel bei Bern