Das Wort «Diversität» in Firmenunterlagen scheint ein erhebliches Risiko für das Amerika-Geschäft von Unternehmen zu werden. Ebenso der Begriff «Inklusion». Wie sollen Verwaltungsräte damit umgehen, dass die US-Amerikanische Politik sich als weltweite Sprachpolizei aufspielt und tief in die Wirtschaftsfreiheit und Personalpolitik der Firmen auf dem Europäischen Kontinent eingreift?
Nach unserem liberalen Verständnis hat die Politik in Firmen möglichst wenig zu sagen. Wir mögen keine Einmischung – schon gar nicht aus dem Ausland! Einige tun sich bereits schwer mit der Erneuerung der Bilateralen Verträge mit der EU, obschon diese über Jahre gemeinsam ausgehandelt wurden und die Zusammenarbeit bereits seit 25 Jahren erfolgreich funktioniert. Wenn jetzt die Vereinigten Staaten von Amerika, einseitig und ohne Verhandlungsoffenheit, Schweizer Firmen unter Druck setzen, ihre Personalpolitik (und was kommt danach, falls es klappt?) nach den Launen von Donald Trump umzubauen, dann ist das mehr als übergriffig. Aber so verhalten sich Autokraten nun mal. Sie befehlen, wo’s lang geht und strafen jene ab, die andere Wege gehen.
Am vorauseilenden Gehorsam von Novartis, Roche und UBS können wir sehen, dass die Aussicht auf die Einflussnahme wirkt. Oder wurden sie von Washington bereits erpresst?
Angst vor Vergeltung
Die Angst vor Vergeltung aus den USA drängt hierzulande Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte in ein Dilemma, das viele Fragen aufwirft: Wie belastbar sind unsere Firmenwerte und Personalpolitik? Wie stabil ist unsere wirtschaftsliberale Überzeugung? Wie unantastbar ist unsere unternehmerische Freiheit in der Schweiz? Und schliesslich ganz persönlich: Wie ernst meinen wir es wirklich damit, allen Menschen in der Wirtschaft Erwerbsmöglichkeiten bieten zu wollen, die ihren Qualifikationen und Kapazitäten entsprechen? Und auf der anderen Seite: Wie wichtig ist das Amerika-Geschäft für uns? Wie weit unterwerfen wir unsere Wirtschaft, Freiheit und Entscheide der Politik eines anderen Landes?
Das Fundament zittert
Die politischen Veränderungen in den USA zwingen der Welt eine darwinistische Machtpolitik auf, die im Widerspruch steht zu unserem demokratischen Selbstverständnis.
In der Präambel zur Schweizerischen Bundesverfassung steht nämlich:
«Im Namen Gottes des Allmächtigen! Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegen über den künftigen Generationen, gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung:»
Diese Bundesverfassung begründet die Identität und das Verhalten von Schweizerinnen und Schweizern. Nun wirft unser grösster Wirtschaftspartner – die USA – viele unserer bisher geteilten Werte über Bord und droht, die Schweiz dabei mitzureissen.
Wie woke ist Wirtschaft?
Auch hierzulande gibt es sie, die Feinde der Vielfalt und Inklusion. Diese Wörter wurden in den vergangenen Jahren systematisch emotional aufgeladen und als «woke» markiert. “Woke-Wahnsinn” und “Woke-Ideologie” sind zu beliebten Kampfbegriffen gegen die Pluralität und Vielfalt in unserem Land geworden. Das ist inzwischen alles als «links und pfui» gebrandmarkt – Bundesverfassung und Nächstenliebe ignorierend. Unter dem Begriff «anti-woke» kann man die schleichende Gleichschaltung beobachten, die nicht nur in Amerika besorgniserregende Formen annimmt. Jüngst bezeichnete der Schweizer Übervater und Vorbeter der Gegner der Vielfalt, Christoph Blocher, sogar den Wirtschafts-Dachverband economiesuisse als «woke». Als Sohn eines Pfarrers weiss er um die Macht der Worte und die Wirkung einer donnernden Verbannung aus dem Kreis der Erleuchteten. Doch von dem Gepoltere dürfen sich Führungskräfte nicht beeindrucken lassen.
Die Wirtschaft braucht alle Fachkräfte, um erfolgreich zu sein. Das ist transaktional motiviert. Sie darf sich nicht in den Kulturkampf um die einzigwahre Reinheit der Identität ziehen lassen. Aber sie sollte vor dieser durchaus auf der Hut sein.
Fahne im Wind oder Fels in der Brandung
Als kleine Schweiz in der grossen Weltwirtschaft sind wir es gewohnt, uns anzupassen und opportunistisch zu handeln. Das hat uns reich gemacht. Doch der aktuelle amerikanische Eingriff in die Personalpolitik der Schweizer Wirtschaft wendet sich gegen unsere eigene Bevölkerung – gegen die eigenen Arbeitskräfte. Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte müssen sich daher gut überlegen, welche Signale sie der Belegschaft und Gesellschaft senden, falls sie sich dem Druck aus Amerika beugen. Wie wollen sie als Führungskräfte wahrgenommen werden? Wie zeigt sich ihre Leadership? Wollen sie sich in vorauseilendem Gehorsam unterwerfen, erst aufgrund von konkreten Drohungen einlenken oder mit Eigenverantwortung, Risikofähigkeit und Unabhängigkeit ein starkes Rückgrat zeigen? Erste Unternehmen sind bereits eingeknickt. Deshalb muss die Frage reflektiert werden, ob das wirklich der richtige Weg ist, bevor andere Unternehmen dem Beispiel allzu gedankenlos folgen.
Die Stärke und Chancen der Schweizer Wirtschaft
Die Spielregeln im transatlantischen Verhältnis haben sich geändert. Die Macht- und Interessenspolitik haben überhandgenommen und schränken die Wirtschaftsfreiheit ein. Die Schweiz und die liberalen Demokratien Europas müssen sich ihrer eigentlichen Stärke und überlegenen Verhandlungsposition gegenüber den USA dringend bewusstwerden und diese gezielt ausspielen.
Ein Beispiel: MSC besitzt die grösste Flotte an Handelsschiffen weltweit. Ihr Hauptsitz liegt in Genf. Die dänische Maersk ist die zweitgrösste Schiffslogistik-Firma der Welt. Europa kontrolliert insgesamt über die Hälfte der Transportkapazitäten auf den Schiffsrouten rund um den Globus. Wenn die USA Güter oder Truppen transportieren wollen, muss sie dafür Europäische Schiffe nutzen, denn sie haben kaum eigene Schiffe. China hat Einfluss auf die meisten Fracht-Häfen auf der ganzen Welt, selbst nachdem Blackrock 43 Häfen gekauft hat. Asien und Europa verfügen über solide Produktionskapazitäten für wichtige Güter, die in den USA konsumiert werden.
Ohne Europa und Asien gäbe es zum Beispiel kaum Textilien in den USA. Textilmaschinen werden zu einem erheblichen Teil von Schweizer Firmen hergestellt. Unter den zehn bedeutendsten Firmen sind drei Schweizerische und keine einzige ist Amerikanisch. Die ganze textile Wertschöpfungskette vor dem Handel wird fast ausschliesslich von Europa und Asien kontrolliert. Wir alle wissen: Kleider machen Leute. Sie sind ein Grundbedürfnis.
Fokus auf Europa und Asien
Die Schweiz und Europa verfügen über einen hohen Weltmarktanteil an der Pharmaproduktion und Medizinaltechnik. Auch im Maschinenbau und der Präzisionstechnik ist die Überlegenheit Europas entscheidend. Die führenden Chipfabriken der Welt produzieren zum Beispiel auf Maschinen der niederländischen ASML. Sie hält das Monopol auf EUV-Lithografie – jener Technologie, die für die Produktion kleinster Hochleistungschips eingesetzt wird. Das dürfte mit ein Grund sein, weshalb die EU von den Exportbeschränkungen amerikanischer Hochleistungschips – im Gegensatz zur Schweiz – nicht betroffen ist. NVIDIA ist nichts ohne Maschinen aus den Niederlanden.
Der Euro als neue Leitwährung im globalen Handel
Anstelle von SWIFT könnte Europa das modernere und bewährte TARGET2 für den Interbanken-Zahlungsverkehr im globalen Handel einsetzen und diese in Euro statt in US-Dollar abwickeln. Der Euro könnte den Dollar so nach und nach als Leitwährung ablösen. Das bringt einige Vorteile für den Euroraum und stärkt die finanzpolitische Position Europas in der Welt. Im Gegenzug würden die USA ihre finanzpolitischen Privilegien verlieren und wirtschaftlich damit zusätzlich unter Druck geraten.
Es gibt viele weitere Abhängigkeiten der USA vom Weltmarkt, die für das Land schmerzhaft werden können, wenn sich die Länder dieser Welt auf sich selbst, ihre eigenen Interessen und Stärken im Verbund besinnen.
Asien hat interessante Wachstumsmärkte
Die Schweiz ist in Asien bereits hervorragend vernetzt. Neben den Freihandelsabkommen im Rahmen der EFTA mit Singapur und Südkorea, verfügt die Schweiz über weitere Verträge mit China, Indien, Japan, Indonesien und Thailand. Ein weiterer mit Vietnam ist in Verhandlung. Die USA haben sich bisher nicht auf einen Vertrag mit der Schweiz eingelassen.
Halten wir uns folgendes vor Augen: die asiatischen Märkte umfassen eine Bevölkerung von 3,5 Milliarden Menschen. Das ist das Zehnfache der USA. Auf dem Europäischen Kontinent leben ausserhalb Russlands 500 Millionen Menschen – das sind 150 Millionen mehr als in den USA. Zusammen stellen Asien und Europa über die Hälfte der Weltbevölkerung.
Die Schweiz exportiert im Rahmen der Bilateralen Verträge nach Europa Waren für 140 Mia. und Dienstleistungen für 60 Mia. Franken. Dem gegenüber stehen Importe für 160 Mia. an Waren und 75 Mia. an Dienstleistungen. 70% unserer Importe und 50% unserer Exporte finden mit der EU statt. In die USA exportieren wir lediglich für 50 Mia. Waren und 27 Mia. Dienstleistungen. Der Import aus den USA umfasst 15 Mia. Waren und 50 Mia. Dienstleistungen, vor allem IT-Lizenzen. Wir sollten die Vereinigten Staaten daher nicht als übermächtig darstellen. Und uns aus der Abhängigkeit von Amerikanischer Software langsam und sicher herauslösen.
Die Gretchen-Frage
Nach dieser Motivationsspritze für eine starke Schweiz im Herzen Europas und mit Blick auf Asien frage ich Sie: wollen Sie mit allen Erwerbsfähigen und Erwerbswilligen in unserem Land gleichermassen engagiert zusammenarbeiten und sind Sie bereit, dafür die erforderlichen Wörter, Entwicklungsprogramme und Ziele in Ihrem Unternehmen zu benennen – oder wollen Sie vor einem alten Mobber und Rechtsbrecher sowie seiner inkompetenten Gang in den USA zu Kreuze kriechen und dafür das Risiko in Kauf nehmen, dass ein Teil Ihrer Mitarbeitenden in Ihrem Unternehmen – Ihrem Vorbild folgend – unterwürfig nur noch Dienst nach Vorschrift leistet oder Ihr Unternehmen verlässt? Sie haben die Wahl.
Ich bin Esther-Mirjam de Boer, Mitinhaberin und Geschäftsleiterin von Brainboards AG. Wir finden und entwickeln die besten Führungskräfte und Teams für Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte.
Dieser Text entstand aus meiner persönlichen Sorge um die Errungenschaften unserer liberalen Demokratien. Ich wünsche mir, dass viele der Übergriffigkeit aus Amerika unter Präsident Trump widerstehen und eine starke Resilienz entwickeln.