Wichtiges Bundesgerichtsurteil für Verwaltungsräte

Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichts bestätigt seine strenge Praxis zur Beendigung der Amtszeit des Verwaltungsrats und die daraus folgende faktische Organschaft. Es verneint die Befugnis des faktischen Verwaltungsrats, eine Generalversammlung einzuberufen, und erklärt die Beschlüsse der von ihm einberufenen Generalversammlung für nichtig. Der Verwaltungsrat ist angehalten, die gesetzlichen Vorgaben zur Generalversammlung einzuhalten, um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft zu bewahren. Andernfalls qualifiziert er als faktisches Organ und wird gegebenenfalls haftbar.

Kein Recht zur Einberufung einer Generalversammlung als faktisches Organ

In einem kürzlich ergangenen Entscheid (BGer 4A_387/2023, 4A_429/2023) hat das Bundesgericht nicht nur seine Praxis zur Amtsdauer von Verwaltungsräten bestätigt, sondern diese auch weiterentwickelt.

Seit Ende 2021 (BGE 148 III 69) gilt Folgendes:
  • Sehen die Statuten eine einjährige Amtsdauer bis zum Ende der nächsten ordentlichen Generalversammlung vor, so endet das Amt des Verwaltungsrates sechs Monate nach Ende des betreffenden Geschäftsjahres, wenn bis dann keine Generalversammlung durchgeführt oder die Wahl des Verwaltungsrates nicht traktandiert wurde.
  • Ab diesem Zeitpunkt ist der Verwaltungsrat nicht ordnungsgemäss besetzt, weshalb die Gesellschaft an einem Organisationsmangel leidet. Das Amt verlängert sich nicht automatisch.
  • Ein Verwaltungsratsmitglied, das nach Ablauf der Amtszeit weiter waltet, handelt als faktisches Organ.

 

Diese Praxis hat das Bundesgericht im vorliegenden Fall bestätigt. Aber nicht nur: Es hat darüber hinaus zweierlei klargestellt:

  1. Das oben Gesagte gilt nicht für die Revisionsstelle: Die Amtszeit der Revisionsstelle endet erst mit der Abnahme der letzten Jahresrechnung ihrer Amtsperiode.
  2. Ein faktischer Verwaltungsrat ist nicht berechtigt, eine Generalversammlung einzuberufen. Darauf ist im Weiteren einzugehen.

    Was ist im vorliegenden Fall passiert?

    Dem Fall geht ein Streit zwischen A. und C. voraus, die beide je 45% an der B. AG halten. C., die einzige Verwaltungsrätin der B. AG, lud im Frühling 2022 (wohlgemerkt nach Ablauf ihrer Amtsdauer) zur ordentlichen Generalversammlung der B. AG ein. Sie wurde an dieser Generalversammlung als Verwaltungsrätin wiedergewählt. A., der an der Generalversammlung nicht zugegen war, reichte daraufhin beim Einzelrichter am Kantonsgericht Zug ein Gesuch um Einsetzung eines Sachwalters sowie um Behebung des Organisationsmangels bei der B. AG ein. Letztere, so sein Vorbringen, verfüge mangels rechtzeitig durchgeführter Wiederwahl über keinen gültig gewählten Verwaltungsrat (mehr).

    Der Einzelrichter wies das Gesuch ab. Er argumentierte, C. sei infolge Zeitablaufs beim Versand der Generalversammlungs-Einladung zwar nicht mehr formelles Organ der B. AG gewesen. Doch habe sie als faktisches Organ korrekt zur Generalversammlung eingeladen und sei an dieser als Verwaltungsrätin wiedergewählt worden. Gegen diesen Entscheid erhob A. Berufung beim Obergericht Zug. Dieses hiess die Berufung zum Teil gut und setzte C. als Verwaltungsrätin der B. AG ein, mit der Verpflichtung, zur Generalversammlung einzuladen und dabei die Wahl des Verwaltungsrats zu traktandieren. Auch gegen diesen Entscheid wehrte sich A. und beantragte vor Bundesgericht im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts aufzuheben, für die B. AG einen unabhängigen Sachwalter zu bestellen und diesen anzuweisen, die Aktionäre der B. AG zu einer Generalversammlung einzuladen, an der die Wahl des Verwaltungsrats zu traktandieren sei. Auch C. erhob Beschwerde beim Bundesgericht und beantragte im Wesentlichen die Bestätigung des Entscheids des Einzelrichters betreffend ihre (gültige) Wahl als Verwaltungsrätin.

    So entschied das Bundesgericht

    Das Bundesgericht präzisierte seine Rechtsprechung, wonach ein Verwaltungsrat nach Ende seiner Amtszeit keine Generalversammlung (mehr) einberufen könne, die über seine Wiederwahl befinde. Ein Verwaltungsrat sei dann “bloss” noch faktisches Organ, das etwa darauf hinwirken könne, dass eine Universalversammlung stattfinde. Wenn man den faktischen Verwaltungsrat auch als zuständig erachtete, eine Generalversammlung einzuberufen, so würde dies die Stellung des faktischen Verwaltungsrats derjenigen des formellen Verwaltungsrats stark annähern. Eine solche Annäherung sei aber abzulehnen, weil es sich bei der Figur des faktischen Organs in erster Linie um einen Haftungstatbestand handle. Die Generalversammlung der B. AG vom Frühling 2022, so das Bundesgericht, sei daher durch ein unzuständiges Organ und damit nicht ordnungsgemäss einberufen worden. Entsprechend habe das Obergericht Zug die Beschlüsse der betreffenden Generalversammlung zu Recht als nichtig qualifiziert.

    Bedeutung des Entscheids für Verwaltungsräte und praktische Handlungsempfehlungen

    Mit der Bestätigung seiner Rechtsprechung unterstreicht das Bundesgericht nochmals die Bedeutung der fristgerechten Einberufung der Generalversammlung für die (Wieder-)Wahl des Verwaltungsrats innerhalb von sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahrs. Läuft die Frist unbenutzt und die Amtsdauer des Verwaltungsrates damit ab, verbleibt als Heilungsmöglichkeit nur noch die Durchführung einer Universalversammlung, die Einberufung der Generalversammlung durch die Revisionsstelle oder der Weg via Gericht zwecks Beseitigung des Organisationsmangels.

    Als Verwaltungsrat sollte man aber darum besorgt sein, dass es dazu erst gar nicht kommt. Zu beachten ist deshalb Folgendes:

    • Strikte Einhaltung der Sechsmonatsfrist: Planen Sie die ordentliche Generalversammlung frühzeitig, sodass sie innerhalb von sechs Monaten nach Ende des Geschäftsjahrs stattfinden und der Verwaltungsrat (wieder-)gewählt werden kann.
    • Fristgerechte Einladung: Eine Generalversammlung kann auch so gültig einberufen werden, dass die Einladung fristgerecht erfolgt, die eigentliche Versammlung aber (erst) nach Ablauf der Sechsmonatsfrist stattfindet. Dies stellt sicher, dass die Einladung als gültig betrachtet wird, auch wenn der Verwaltungsrat in der Zwischenzeit formell nicht mehr im Amt ist.
    • Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung: Sollte die ordentliche Generalversammlung nicht fristgerecht möglich sein, kann eine ausserordentliche Generalversammlung einberufen werden, um die (Wieder-)Wahl des Verwaltungsrats sicherzustellen. Die ordentlichen Traktanden (Abnahme Rechnung, etc.) können dann später behandelt werden.
    • Statutarische Risikominimierung: Eine längere Amtsdauer des Verwaltungsrats (z.B. mehrjährige Amtsperioden) in den Statuten kann helfen, einen Organisationsmangel zu vermeiden. Für börsenkotierte Unternehmen ist dies jedoch nicht zulässig.
    • D&O-Versicherung prüfen: Vergewissern Sie sich, dass die D&O-Versicherung auch den Versicherungsschutz für faktische Organe umfasst, um im Fall einer weitergeführten Tätigkeit nach Ablauf der Amtszeit abgesichert zu sein.

    Durch diese Massnahmen lässt sich das Risiko reduzieren, dass ein Verwaltungsrat nach Ablauf seiner Amtszeit als faktisches Organ agieren muss und dadurch in rechtliche Schwierigkeiten gerät.

    Zum Autor:

    Dr. iur. des. Matthias P. A. Müller, M.A. HSG in Law and Economics, Rechtsanwalt, Homburger AG. Der Autor hat das betreffende Urteil ausführlich in der Zeitschrift für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht besprochen; siehe Matthias P. A. Müller/Cédric Berger/Daniel Bötticher, Der faktische Verwaltungsrat: rechtliche Ordnung, Grenzen und Möglichkeiten, GesKR 2024, S. 427 ff.