“The future will always surprise us,
but we shall not be caught napping.”
Buckminster Fuller
Leider schlafen wir in Europa, wenn es um die digitale Welt geht. Wir sehen mit Angst auf die Entwicklung, anstatt die Möglichkeiten und Chancen zu sehen. Das liegt auch daran, dass wir in Europa mit der falschen Brille auf das Thema schauen. Hier ein paar Denkanstösse und Handlungsempfehlungen, wie wir die digitale Transformation in Unternehmen angehen können und schon längst hätten angehen müssen.
Die Zeit läuft uns davon.
(dieser Artikel stammt ursprünglich aus dem Jahr 2001 und wurde 2015 und 2024 adaptiert – er ist heute mit dem Aufkommen von AI wieder hoch aktuell)
Die neue digitale Realität stellt das Management vor grosse Herausforderungen, wie es reagieren soll und muss, um die Überlebensfähigkeit seines Unternehmens zu sichern. In einem ersten Schritt muss sich das Management vergegenwärtigen, dass digitale Medien nicht traditionelle EDV “in neuen Schläuchen” sind.
1. Neuartigkeit
Die digitale Welt bildet einen neuartigen Raum der Kommunikation, der Interaktion und des Austausches von Leistungen, der mit traditionellen Medien nicht möglich war. Die neuen Informationsträger können selbst aktive Agenten sein, die selbsttätig handeln (Künstliche Intelligenz). Dies ist der erste wichtige Punkt für das Management. Digitale Medien sind in einer Vielzahl von Aspekten neuartig, und das Management muss ihre Neuartigkeit verstehen, um die Herausforderung durch sie zu meistern.
2. Querschnitttechnologie
Die neue digitale Welt ist aber nicht nur der Wirtschaft zugänglich, sondern durchdringt alle Bereiche des menschlichen Lebens. Kunden profitieren von digitalen Medien genauso wie Unternehmen. Digitale Medien sind eine Querschnitttechnologie, die alle Bereiche der Gesellschaft und damit auch deren Subsysteme durchdringt und verändert. Dies ist der zweite Punkt, der wichtig ist für das Management von Unternehmen. Nicht nur ihnen stehen die Mittel der digitalen Medien zur Verfügung, sondern auch Kunden und potentiellen Unternehmern, die mit traditionellen Unternehmen in Konkurrenz treten können.
3. Kreative Zerstörung
Hieraus ergibt sich der dritte Punkt. Die Herausforderung für traditionelle Unternehmen wird nicht in Unternehmen bestehen, die mittels neuer Medien das Gleiche effizienter machen, als es traditionelle Unternehmen schon immer getan haben. Die Herausforderung wird im Schumpeterschen Sinne der kreativen Zerstörung durch Unternehmen kommen, die ein Bedürfnis anders befriedigen, als dies die heutigen Unternehmen tun. Diese Unternehmen werden sich nicht auf einen Wettbewerb mit traditionellen Firmen einlassen, in dem die Spielregeln durch die traditionellen Unternehmen schon lange vorher gesetzt sind und von ihnen beherrscht werden. Die neuen Unternehmen werden ein Spiel versuchen, deren Regeln bis dato noch nicht existieren und die von ihnen festgelegt werden können.
4. Geschäftsmodelle
Nicht die traditionellen Differenzierungsmerkmale wie Qualität oder Preis des Produktes sind künftig entscheidendt, sondern die Unternehmen der Zukunft werden sich über das Geschäftsmodell differenzieren. Hauptansatzpunkte möglicher Innovationen und damit der Möglichkeit der Differenzierung mittels digitaler Medien ist, den Kunden eine neuartige Value Proposition anzubieten, die Geschäftsarchitektur selbst zu verändern, die verschiedenen Wertschöpfungspartner anders zu koordinieren oder das Ertragsmodell neu zu strukturieren. Dies ist der vierte Punkt für das Management. Ansatzpunkt der Veränderungen wird das Geschäftsmodell sein.
5. Nutzung
Bei diesen möglichen Geschäftsmodellinnovationen und den entsprechenden Differenzierungsmöglichkeiten werden die Unternehmer speziell auf die Eigenschaften digitaler Medien (Aktivität, Interaktivität, Ubiquität, Vernetztheit und Multimedialität) eingehen. Nicht neueste Technik zu verwenden ist entscheidend für die Differenzierung, sondern die neuartige Nutzung der Eigenschaften digitaler Medien, die für die Kunden einen höheren Wert generiert als bisherige Geschäftsmodelle. Dies ist der fünfte Punkt.
Durch die anfangs geringen Eintrittsbarrieren werden eine Vielzahl von Geschäftsmodellen entstehen, die nicht nur mit traditionellen Geschäftsmodellen im Wettbewerb stehen, sondern auch mit anderen Geschäftsmodellinnovationen. Nur eine kleine Zahl von Geschäftsmodellinnovationen wird überhaupt vom Kunden wahrgenommen, noch weniger angenommen. D.h., es findet ein Selektionsprozess unter den Geschäftsmodellen statt.
6. Selektion
Nicht nur Unternehmen stehen im Wettbewerb untereinander, sondern auch Geschäftsmodelle. Wie bei jeder Innovationswelle werden nur wenige neue Geschäftsmodelle übrigbleiben. Sie bilden das dominante Design, wie gewisse Kundenbedürfnisse befriedigt werden. Dies ist der sechste Punkt. Der Misserfolg vieler Unternehmer ist nicht ein Zeichen, dass die ganze Innovationswelle sich nicht durchsetzt, sondern die Misserfolge sind Teil des Selektionsprozesses im Wettbewerb in einer frühen Lebensphase einer Geschäftsmodellinnovation.
7. Dominanz
Mit Auftreten eines dominanten Designs verschiebt sich der Wettbewerb von der Differenzierung über Geschäftsmodellinnovationen hin zu Effizienzsteigerungen des dominanten Geschäftsmodells. Aufgrund von starken Netzwerkeffekten auf Nachfrageseite und starken Skaleneffekten bei gleichzeitiger Nicht-Existenz von Kapazitätsbeschränkungen auf Produktionsseite ist es wahrscheinlich, dass nur ein Oligopol von Unternehmen überhaupt das dominante digitale Geschäftsmodell innerhalb einer Gemeinschaft betreiben wird. Dies ist der siebte Punkt. Mit Entstehen des dominanten Geschäftsmodells sind die Eintrittsbarrieren aufgrund der gerade beschriebenen Effekte sehr hoch geworden. Ein Eintritt mit einem gleichen Geschäftsmodell ist für ein Unternehmen fast unmöglich.
8. Dynamik
In der digitalen Netzwerkökonomie sind die Oligopole jedoch nur von temporärer Natur, da die Entwicklung der Basistechnologie neue Geschäftsmodelle ermöglicht, die die entstandenen dominanten Modelle bedrohen und ersetzen können. D.h., selbst dominante Positionen eines Unternehmens sind nicht dauerhaft gesichert, da die aufgebauten Eintrittsbarrieren durch die Entwicklung der Basistechnologie erodiert werden. Dies ist der achte Punkt, den das Management von Unternehmen beachten muss.
9. Adaptation
Der neunte Punkt ist, dass sich nicht alle Geschäftsmodellinnovationen durchsetzen, auch wenn sie einen höheren Nutzen für den Kunden bringen. Die Adoption einer Innovation ist auch mit Kosten für Kunden verbunden, da altes Konsumwissen vergessen und neues erlernt werden muss. Konsum- oder Nutzungswissen aufzubauen kostet vor allem Zeit, das ist eine absolut beschränkte Ressource. Nur wenn der Innovator es schafft, das Gut als Problemlösung in den Köpfen potentieller Käufer zu verankern, kann sich sein Geschäftsmodell durchsetzen. Und dabei muss beachtet werden, dass der beschränkende Faktor der digitalen Ökonomie die Zeit des Konsumenten, etwas Neues zu erlernen bzw. das neue Gut auch zu nutzen, und nicht allein das Geld ist.
Wie muss das Management auf diese neun Punkte reagieren?
Wichtig für Unternehmen ist insbesondere, andere Unternehmen und deren Geschäftsmodelle nicht zu kopieren (Eintrittsbarrieren!), sondern sich selbst Gedanken zu machen, wie mittels der Neuartigkeit digitaler Medien ein höherer Nutzen für den Kunden generiert werden kann, und wie das neue Geschäftsmodell dann in den Köpfen der Menschen verankert werden kann. Die Handlungsempfehlungen sind als Denkanstösse gedacht, als Food for Thoughts.
Die Empfehlungen sollen einen internen Lernprozess anstossen, der einerseits die oft verdeckte dominante Logik, nach der das heutige Geschäft aufgebaut ist, offen legt und somit einer kritischen Hinterfragung aussetzt, und der andererseits hilft, digitale Medien und deren Auswirkungen auf das eigene Geschäft besser zu verstehen, um so neue, erfolgreiche Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie zu betreiben.
Handlungsempfehlung 1:
Denken in Geschäftsmodellen.
Der erste Schritt im Lernprozess ist, nicht mehr in Produkten, Unternehmen oder Geschäftseinheiten zu denken, die im Wettbewerb stehen – diese sind immer nur Gefässe oder Endprodukte des Geschäftes (Business) – sondern in Geschäftsmodellen. Das Denken in Geschäftsmodellen hilft bei der Beantwortung der Frage ‘warum existiert das Unternehmen überhaupt’.
Die Daseinsberechtigung eines Unternehmens ergibt sich aus dem Nutzen, den es für seine Anspruchsgruppen generiert, insbesondere für seine Kunden. Ein Unternehmen stiftet aber nur dann Wert für die anderen Anspruchsgruppen, wenn die Kunden bereit sind, für den Nutzen zu bezahlen. Aus diesen Bestandteilen ergibt sich ein Geschäftsmodell:
Value Proposition (Welchen Nutzen stifte ich für den Kunden?),
Geschäftsarchitektur (Wertschöpfungskette und Produkt zwecks Einlösung der Value Proposition) und
Ertragsmodell (Wie werde ich vom Kunden entgolten?).
Die Kombination all dieser Bestandteile ist das Geschäft, das ein Unternehmen betreibt. Ein Geschäftsmodell ist die ganzheitliche Beschreibung des Geschäftes.
Die Art und Weise, wie ein Geschäftsmodell ein Bedürfnis befriedigt, muss vom Kunden gelernt werden. Bei den heute existierenden Geschäftsmodellen ist das Verhalten der Kunden schon als Gewohnheit verankert; sie haben während ihrer Kindheit gelernt, wie ein Supermarkt zu verwenden ist; sie haben gelernt, dass Tankstellen zum Benzinverkauf da sind und dass Benzin verwendet wird, um Autos zu betreiben.
Das Konsumwissen ist Teil des sozialen Lernens, das jeder Mensch in seiner Kindheit durchläuft und das ihn prägt.
Die meisten heute existierenden Geschäftsmodelle sind historisch entstanden, zu Zeiten, als digitale Medien nur in Sciencefiction Romanen vorkamen. Die Geschäftsmodelle sind heute viel effizienter; die Produkte beinhalten die neueste Technologie, aber die grundlegende Struktur der Geschäftsmodelle hat sich wenig verändert. Die Geschäftsmodelle durchliefen einen evolutionären Veränderungsprozess, der durch Produkt- und Prozessinnovationen bestimmt war, nicht aber durch revolutionäre Änderungen.
Die erste Handlungsempfehlung lautet: Denke in Geschäftsmodellen! Das Denken in Geschäftsmodellen erlaubt dem Management, sein heutiges Geschäft besser zu verstehen und damit das eigene Unternehmen. Die einzelnen Bestandteile eines Geschäftsmodells sind Variablen des Managements, d.h., das eigene Geschäftsmodell kann vom Unternehmen bewusst beeinflusst werden, um sich von Wettbewerbern zu differenzieren.
Erst wenn das Management versteht, was sein eigentliches Geschäft ist und was die Beweggründe für das heutige Geschäftsmodell beim seinem Entstehen waren, kann es die Auswirkungen analysieren, die digitale Medien auf das Geschäftsmodell haben werden.
Handlungsempefehlung 2:
Neuartigkeit durchdringen und verstehen.
Die zweite Handlungsempfehlung ist: Verstehe die Neuartigkeit digitaler Medien! Digitale Medien sind nicht die evolutionäre Weiterentwicklung bisheriger Informatik-Anwendungen. Das Management muss sich genauer mit der Neuartigkeit digitaler Medien auseinandersetzen und ihre Funktionsweise verstehen.
Erst wenn das Management versteht, was neu an neuen Medien ist, kann es beurteilen, wie mögliche Veränderungen aussehen können. “Unspektakuläre” Merkmale wie Aktivität, Interaktivität, Ubiquität und Vernetzung sind für die Wirtschaft weit wichtiger als die Multimedialität.
Es sind gerade diese Merkmale, die die Koordinationskosten in der arbeitsteiligen Wirtschaft beeinflussen, und die Koordinationskosten wiederum sind für die Existenz der heutigen Geschäftsmodelle verantwortlich. Veränderungen der Koordinationskosten durch neue Medien führen somit auch zu anderen, neuen Geschäftsmodellen.
Einen zweiten Punkt, der genauso wichtig ist wie die Merkmale der digitalen Medien selbst, muss sich das Management vergegenwärtigen: Digitale Medien durchdringen nicht nur die Wirtschaft, sondern stehen auch Kunden zur Verfügung (IKT als Querschnittstechnologie). Kunden können ebenso auf die Ressourcen digitaler Medien zurückgreifen wie Unternehmen. Sie erweitern nicht nur den kognitiven Raum des Menschen, sondern erlauben ihm, selbst Aufgaben zu übernehmen, die früher in der Domäne der “produzierenden” Wirtschaft waren. Kunden können heute Werte für andere Kunden produzieren, ohne dass eine wirtschaftliche Instanz dazu eingeschaltet werden muss, da solche Gemeinschaften sich in der digitalen Welt bilden und sich dort selbst organisieren können.
Geschäftsmodellinnovation durch digitale Medien
Ist die Neuartigkeit digitale Medien (neue Merkmale und Querschnittstechnologie in allen Gesellschaftsbereichen) dem Management gegenwärtig, dann muss es die neuen Eigenschaften mit der Analyseeinheit Geschäftsmodell verbinden. Erst so ist eine ganzheitliche Betrachtung der potentiellen Veränderungen aufgrund neuer Medien möglich.
Es stellen sich die Fragen: Wie können die neuen Eigenschaften genutzt werden? Können wir bestehende Dienstleistungen oder Angebote in der digitalen Welt zu neuen Angeboten verknüpfen? Gibt es Möglichkeiten, gewisse Wertschöpfungsaktivitäten durch den Kunden ausführen zu lassen? Können wir gewisse Aufgaben für den Kunden übernehmen? Wie können wir den erweiterten kognitiven Raum des Kunden in unser Geschäft mit einbeziehen? Wie können bestehende Kompetenzen und Ressourcen mit digitalen Medien geleveraged werden? Bringt ein neuartiges Ertragsmodell dem Kunden einen Nutzen?
Bei der Beantwortung der Fragen lassen sich die beiden ersten Handlungsempfehlungen kombinieren: Die Analyseeinheit des Geschäftsmodells eignet sich, die gerade gestellten Fragen zu beantworten, indem es erlaubt, ganzheitlich die Auswirkungen der Digitalisierung zu beschreiben. Es erlaubt ein Design eines Geschäfts, das sich nicht an bestehenden Branchenstrukturen, Unternehmensgrenzen oder heute angebotenen Produkten orientiert, sondern bewusst einen Ansatz wählt, der ein Geschäft von Null an aufbaut. Als Bausteine können bestehende Kernkompetenzen und strategische Vermögenswerte des Unternehmens verwendet werden. Das Unternehmen muss sich aber immer kritisch fragen, ob die ehemals wertvollen Aktiva auch in der digitalen Ökonomie noch wertschaffend sind oder ob sich aus den Kernkompetenzen Kernrigiditäten entwickelt haben.
Die Antwort auf die oben gestellten Fragen ist häufig, dass neue Geschäftsmodelle aufgrund der Verwendung der Neuartigkeit digitaler Medien möglich sind, die einen weitaus höheren Nutzen für die Kunden stiften, bzw. die gleiche Leistung zu wesentlich niedrigeren Kosten erbringen können als das alte Geschäftsmodell, selbst wenn dieses durch digitale Medien effizienter geworden ist.
Handlungsempfehlung 3:
Nutze digitale Mittel zur Innovation.
Daraus leitet sich die dritte Handlungsempfehlung ab: Nutze digitale Medien für Geschäftsmodellinnovationen! Dies erlaubt dem Unternehmen, sich gegenüber traditionellen Unternehmen zu differenzieren. Je nachdem, ob die bisherige Wertschöpfungsarchitektur weitgehend erhalten bleibt oder ob gänzlich digitale Wertschöpfungsarchitekturen geschaffen werden, spricht man von einer evolutionären oder revolutionären Geschäftsmodellinnovation.
Es ist wichtig festzuhalten, dass der Einsatz neuer Medien kein Selbstzweck sein darf. Ein Geschäftsmodell ist nicht innovativ, nur weil es digitale Medien oder Social Media einsetzt. Innovativ ist der Einsatz neuer Medien dann, wenn er dem Kunden einen höheren Nutzen schafft und der Kunde auch bereit ist, dafür langfristig zu zahlen.
Management digitaler Geschäftsmodelle
In einem nächsten Schritt muss sich das Management bewusst machen, dass digitale Geschäftsmodelle keine Fortsetzung ihrer physischen Aktivitäten sind. Digitale Geschäftsmodelle weisen Eigenschaften auf, die zwar auch in der physischen Welt existierten, aber in ihrer Kombination und Stärke charakteristisch für die digitale Netzwerkökonomie sind. Skaleneffekte und die Nicht-Existenz von Kapazitätsgrenzen auf Anbieterseite und ebenfalls gegebenen Skaleneffekte auf der Nachfrageseite zeichnen digitale Geschäftsmodelle aus. Diese ökonomischen Eigenschaften sind kennzeichnend für Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie. Ohne ein Verständnis der ökonomischen Eigenschaften digitaler Geschäftsmodelle ist kein erfolgreiches Management dieser möglich. Eine reine Übertragung der Managementprinzipien der physischen Welt in die digitale Welt ist nicht erfolgreich.
Handlungsempfehlung 4:
Ökonomie durchdringen und Management ausrichten.
Daraus leitet sich die vierte Handlungsempfehlung ab: Verstehe die ökonomischen Eigenschaften digitaler Geschäftsmodelle und richte das Management darauf aus! Erst wenn ein Unternehmen die seinem digitalen Geschäftsmodell zugrundeliegende Ökonomie versteht, kann es dieses erfolgreich führen. Insbesondere ist es wichtig, die Dynamik bei digitalen Geschäftsmodellen zu erkennen. Eine statische Betrachtung ist gefährlich, da so eine Vielzahl von Mechanismen (Entwicklung der Eintrittsbarrieren über den Lebenszyklus einer Geschäftsmodellinnovation, positive Netzwerkexternalitäten in Gemeinschaften, Multiplikatoreneffekt und Mund-zu-Mund Propaganda bei der Adoption der Innovation), die erst über die Zeit wirken, übersehen wird und sich so das Management nicht nach ihnen ausrichtet.
Das Management muss sich Fragen stellen: Wie gross ist der Anteil von Informationen und Wissen an der Wertschöpfung innerhalb des Geschäftsmodells? Wie sieht die Kostenfunktion des digitalen Geschäftsmodells aus? Wie können wir die Kostenfunktion in unserem Sinne nutzen, indem wir anfänglich unter den Durchschnittskosten anbieten, um Skaleneffekte aufzubauen (Riding down the cost curve)? Wo liegen die Kapazitätsschranken? Gibt es welche? Haben wir Netzwerkeffekte auf der Nachfragerseite? Wie können wir Netzwerkeffekte auf der Nachfragerseite initiieren? Wie können wir Wechselkosten für die Kunden aufbauen? Wie können wir den Adoaptionsprozess beeinflussen? Gibt es Möglichkeiten, die Mund-zu-Mund Propaganda im Sinne des Unternehmens zu beeinflussen?
Nicht jedes digitale Geschäftsmodell wird alle beschriebenen Eigenschaften aufweisen. Das Management muss sich aber dennoch bewusst machen, welche Eigenschaften gelten, und welche von Mitbewerbern mit anderen Geschäftsmodellen ggf. gegen sie eingesetzt werden können.
Kommunikationsmanagement
Die bisherigen Handlungsempfehlungen zeigten Unternehmen, wie digitale Medien in Geschäftsmodellen eingesetzt und so in einem realen Geschäft implementiert werden können. Die Implementierung der Geschäftsmodellinnovation auf der Angebotsseite reicht aber im Wettbewerb gegen andere Geschäftsmodelle noch nicht zum Erfolg. Der kritische Punkt ist die Akzeptanz der Kunden und die Integration in ihr Konsumverhalten. Eine Innovation verlangt auch innovative Konsumenten. Geschäftsmodellinnovationen in der digitalen Ökonomie müssen erst vom Kunden erlernt werden. Diesen Prozess muss das Management aktiv fördern.
Handlungsempfehlung 5:
Verankere das Geschäftsmodell im Markt.
Daraus lässt sich die fünfte Handlungsempfehlung ableiten: Verankere das Geschäftsmodell in den Köpfen der Konsumenten! Dazu muss das Management aktiv die Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft von potentiellen Nutzern beeinflussen. Dieser Vorgang muss auf zwei Stufen geschehen: erstens durch die Verankerung der Funktionsweise des Geschäftsmodells in den Köpfen der Kunden (Adoption) und zweitens durch die Kommunikationspflege mit und zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft um das digitale Geschäftsmodell herum (Bindung).
In Schritt eins muss das Unternehmen bei den potentiellen Nutzern ein Verständnis für die Funktionsweise seiner Innovation aufbauen und erste Adoptoren gewinnen. Die Verankerung des Geschäftsmodells in den Köpfen potentieller Kunden ist wichtig, da der Nutzen von digitalen Geschäftsmodellen häufig von positiven Netzwerkexternalitäten beeinflusst wird. Je mehr Kunden einer Gemeinschaft ein Geschäftsmodell wählen, desto höher ist der Nutzen für alle Beteiligten. Ein potentieller Adoptor einer Geschäftsmodellinnovation entscheidet nicht nach dem wirklichen Nutzen eines Netzwerkes, sondern nach dem erwarteten Nutzen. Den wirklichen Nutzen kann er erst nach Verwendung des Geschäftsmodells feststellen, da digitale Geschäftsmodelle Erfahrungsgüter sind. Aufgabe des Managements ist, in den Köpfen von potentiellen Kunden die Erwartung zu verankern, dass das Geschäftsmodell einen hohen Nutzen bringt. Falls genügend Kunden der Ankündigung glauben, erfüllt sich auch die Ankündigung. Das Geschäftsmodell stiftet dann auch aufgrund seiner grossen Nutzeranzahl auch den grössten Nutzen. Diesen Prozess muss das Management versuchen zu steuern, es ist Teil einer neuen Aufgabe des Managements in der digitalen Ökonomie, des Kommunikationsmanagements.
Die zweite Stufe des Kommunikationsmanagements ergibt sich aus den Kommunikationsbeziehungen, die sich um ein digitales Geschäftsmodell herum entwickeln. Das Management muss bewusst die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft aufbauen und pflegen, um so Nutzen aus der Gemeinschaft ziehen zu können. Daraus lässt sich die sechste und letzte Handlungsempfehlung ableiten: Manage nicht nur die Produktionsseite des Geschäftsmodells, sondern auch die Kommunikationsbeziehungen innerhalb der das Geschäftsmodell umgebenden Gemeinschaft!
Cave!
“Change takes a lot longer to happen
than you sometimes expect….”Bill Gates (1997)
Die digitale Ökonomie ist eine Ökonomie der Ideen, die zu neuen Lösungen für die Befriedigung von Kundenbedürfnissen führen können. Der Vorrat an Ideen bei gleichzeitiger Demokratisierung der Produktionsmittel ist unerschöpflich, so dass sehr viele neue Geschäftsmodelle nicht nur theoretisch möglich geworden, sondern auch umsetzbar sind bzw. umgesetzt werden.
Doch während auf der Angebotsseite wenig Beschränkungen des Machbaren herrschen, werden sich nur wenige von den Innovationen durchsetzen können, da der tatsächlich beschränkende Faktor der digitalen Netzwerkökonomie auf Seiten der Nachfrager liegt — in der begrenzten Aufnahmekapazität der Menschen für Neuerungen. Das hat nichts mit geistiger Trägheit oder Dummheit zu tun, sondern basiert schlicht auf der Überlegung, dass der Konsument mit seiner kostbarsten Ressource — der Zeit — haushalten muss. Jeder Wechsel zu einem anderen Geschäftsmodell verursacht Wechselkosten für den Kunden, da er unter Aufwand seiner Ressourcen neues Konsumwissen aufbauen muss. Erst wenn der (subjektiv empfundene) Nutzen ein Vielfaches höher ist als der Nutzen eines von ihm schon heute verwendeten und geschätzten Geschäftsmodells, wird er wechseln.
23 Jahre ist es her und wenig ist passiert.
Dieser Text ist vor 23 Jahren geschrieben worden und ist die Handlungsempfehlung für Manager aus meiner Dissertation von 2001. Und leider verstehen Manager in Europa immer noch nicht, was die digitale Ökonomie bedeutet. Wie schwer sich die traditionelle Industrie mit digitalen Medien tut, zeigt das vernetzte Auto. VW kommt zu spät mit seiner eher rückständigen Software. Plug & Charge, sprich das Laden eines eAutos und der gleichzeitigen Abrechnung des Ladens via Identifizierung des Autos via Stecker ohne jegliche Apps oder gar Karten, kann Tesla seit 2012. Bei europäischen eAutos immer noch nicht Standard. Manager und Politiker sind schon froh, wenn sie heutige Geschäfts- oder Verwaltungsmodelle digitalisieren oder sie rennen irgendwelchen Hypethemen wie AI, Social Media oder Industrie 4.0 hinterher. Digitale Medien sind viel mehr, viel fundamentaler. Was wir heute sehen, ist nur der Anfang.
Lassen wir uns nicht unterbekommen und bauen wir neue Geschäftsmodelle auf, die Kunden begeistern.
Lasst uns nicht den amerikanischen Werbekonzernen, Chinesen oder russischen Trollen die Hoheit über unsere Daten geben, sondern finden wir Geschäftsmodelle, die aus unseren Daten uns Kunden einen Nutzen bringen, damit die Welt besser und nicht nur transparenter wird.
Patrick Stähler ist der Erfinder des Business Model Innovation Ansatzes, Urvater der Business Model Canvas, Unternehmer, Blogger, Autor, Digital seit 1995. Er ist zudem Gründer und Partner von fluidminds. Er bloggt auf blog.business-model-innovation.com und schreibt u.a. für brand eins. Er ist Autor von „Das Richtige gründen: Werkzeugkasten für UnternehmerInnen“, dem “ungewöhnlichsten Gründerbuches des Jahres”.