Vielfältige und gleichermassen relevante Perspektiven auf die Dinge werden noch viel zu oft vergeudet. Dabei bilden sie eine wertvolle natürliche Ressource, mit der die Wirtschaft auch in Zukunft kreativ, innovativ und erfolgreich sein kann.
Das produktive Miteinander von unterschiedlichen Individuen zu fördern, ist eine der zentralen Aufgaben von guter Führung in Unternehmen. Gerade in Zeiten, die von hoher Komplexität der Wechselwirkungen, Unsicherheit und Vieldeutigkeit geprägt sind, ist dies entscheidend für die Innovationskraft und den Erfolg von Unternehmen.
Unter «Vielfalt» in Bezug auf Teamzusammensetzung wird landläufig die Repräsentanz verschiedener demografischer Eigenschaften verstanden (Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, Religion etc.). Diese Form der Diversity ist unserer Erfahrung nach lediglich das messbare Ergebnis von gelebter Inklusion – nicht das Werkzeug zum Erfolg.
Wir verstehen unter Vielfalt in strategischen Führungsteams vielmehr die Unterschiedlichkeit bei gleichzeitiger Relevanz der Beitragsfähigkeiten der einzelnen Mitglieder. Diese Form der Vielfalt steht auf einem anderen Fundament. Dabei sind Weitsicht, Persönlichkeit und Reife, Intelligenz und Erfahrung, Rollenverständnis und Konfliktfähigkeit, unterschiedliche Lebensrealitäten, Funktionen, Branchen etc. relevanter als demografische Daten.
In einer Zeit jedoch, wo Frauen längst über 50% der Hochschulabschlüsse leisten, weist deren auffällige Untervertretung in der Führung auf Schwächen in der Personalselektion hin. Wenn es zum Beispiel Architekturbüros, Anwaltskanzleien, Universitäten und die Finanzindustrie nicht einmal annähernd schaffen, den Frauenanteil mit steigender Hierarchiestufe zu halten, dann sind Kräfte am Werk, die die Organisationen und ihre Zukunftsfähigkeit schwächen, weil sie – statistisch betrachtet – nicht die Besten im Team halten können. Das gelingt z.B. in der metallverarbeitenden Industrie und in der Pharma signifikant besser (siehe auch die Gender Intelligence Reports von HSG & Advance).
Die demografische Repräsentanz ist eine Messgrösse für Führungsgremien, die Aufschluss gibt über die Führungskultur und Arbeitgeberattraktivität in Organisationen. Sie sollte daher als relevante Schlüsselkennzahl im Risikomanagement verankert werden. Wenn es Unternehmen nämlich nicht gelingt, eine breite Vielfalt von geeigneten Talenten anzuziehen, zu halten und zu befördern, dann hat es das Nachsehen gegenüber Mitbewerbern im Arbeitsmarkt.
«Vielfalt erhöht die Lösungskompetenz in Teams – Inklusion macht Vielfalt produktiv»
Vielfalt und Inklusion strategisch verstehen
Wie soll Durchmischung aussehen und wann ist «genug» Diversität in einem Verwaltungsrat oder einer Geschäftsleitung? Die Verhaltensforschung zeigt auf, dass Minderheiten mit einem kleinen Gruppenanteil kaum positive Auswirkungen auf das Ganze haben. Erst mit steigendem Anteil und in Kombination mit Inklusion als Grundhaltung der Führung, entsteht die gewünschte Wirkung. Die folgende Abbildung zeigt die Effekte in gemischten Gruppen und verdeutlicht, wie wichtig eine «echte» Durchmischung ist.
Token-Effekte
«Token» steht für «Symbol». Wenn eine Minderheit in einer Gruppe einen geringeren Anteil als 15% ausmacht, dann werden diese Menschen in erster Linie nicht als Individuen gesehen, sondern als Repräsentantinnen und Repräsentanten (Symbole) ihrer Gruppe. Dabei stehen sie unter besonderer Beobachtung. Sie müssen sich überproportional Mühe geben, um die durch sie repräsentierte Gruppe gut dastehen zu lassen. Dabei lassen sich zwei verschiedene Verhaltensstrategien beobachten:
- Die Überanpassung an die Mehrheit: Besser als die Norm sein.
- Die Überanpassung an die gesellschaftlichen Erwartungen für die eigene Gruppe: Vorbildliche Minderheit sein.
Ein berühmtes Beispiel für Token-Effekte war der erste farbige Präsident der Vereinigten Staaten. Die First Lady Michelle Obama sagte mal in einem Interview, dass sie und ihr Mann sich keinen einzigen Fehler leisten können, weil sie alle Farbigen repräsentieren. So ergeht es allen Menschen, die in einer Gruppe die Ersten oder die Einzigen ausserhalb der Gruppennorm sind. Das ist für die Betreffenden ausgesprochen anstrengend und zuweilen unangenehm. Sie müssen sich als besonders gute Fachleute behaupten und gleichzeitig vorbildliche Vertreter ihrer Art sein. Denn sie repräsentieren als «Token» alle ihrer Art: «die Jungen von heute» – «die Ausländer» – «die Externen» – «die Unerfahrenen» etc. und ja, «die Frauen» auch. Von ihrem Umfeld werden sie anfangs zwar als willkommene Abwechslung von der Norm begrüsst, aber aufgrund ihrer Andersartigkeit oft nicht gleichwertig ernstgenommen. Das ändert sich, wenn ihr Anteil steigt und die Minderheiten-Effekte eintreten.
Minderheiten-Effekte
Menschen identifizieren sich als soziale Wesen über ihre Gruppenzugehörigkeiten («InGroup» vs. «OutGroup»). Jede Gruppe bevorzugt Repräsentantinnen und Repräsentanten ihrer eigenen Gruppe und bildet vereinfachende Vorurteile über die anderen – frei nach dem Motto: «Kennt man eine(n), kennt man alle.» Sind Gruppen unterschiedlich gross, dann wirken diese Minderheiten-Effekte so, dass die Mehrheit sich selbst systematisch bevorzugt und die Minderheit abwertet.
Der Aufwand für die Inklusion ist in diesem Fall erheblich höher, als wenn die Gruppenanteile ausgewogener sind. Bis zu einem Minderheitenanteil von ca. 30% kann die Minderheit auch als Bedrohung wahrgenommen werden. Erst darüber hinaus überwiegen die Durchmischungseffekte.
Durchmischungs-Effekte
Die Kraft der Vielfalt und Inklusion kann sich bei ausgewogener Durchmischung von Gruppen einfacher und nachhaltiger entfalten. Allerdings ergibt sich ein positiver Durchmischungs-Effekt auch nicht ganz von allein. Wenn in Organisationen die Abgrenzung und Differenzierung unter den einzelnen Gruppen ausgeprägt sind, dann ist die erwünschte Kooperation in der Vielfalt gefährdet. Es braucht Inclusive Leadership, um positive Durchmischungs-Effekte zu erzielen. Im Gegensatz dazu steht eine ausgrenzende Leadership, welche die InGroup- und OutGroup-Effekte verstärkt und so die Durchmischungs-Effekte schwächt.
Diese Effekte zeigen auf, dass Inklusion noch lange nicht erreicht ist, solange nur wenige Minderheiten mit Symbolcharakter vorhanden sind. Es braucht eine konsequente und nachhaltige Durchmischung mit hohen Anteilen, um spürbar von den Vorteilen der Inklusion zu profitieren. Gleichzeitig wird die Inklusion mit steigender Durchmischung einfacher. Es lohnt sich also, diesen Weg zu gehen.
Ein wunderschöne Illustration dieser verschiedenen Effekte der Vielfalt und Durchmischung ist der Kurzfilm PURL von Disney PIXAR (Dauert 8 Minuten).
Esther-Mirjam de Boer ist geschäftsleitende Teilhaberin der BRAINBOARDS AG – Board Advisory & Executive Search. Sie ist seit 22 Jahren selbständige Strategieberaterin und Sparring Partner für Top-Führungskräfte. Die mehrfache Verwaltungsrätin berät Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte zu Arbeitgeberattraktivität, Personalstrategie und Führungskultur in einer vielfältiger werdenden Arbeitswelt.